La Fac des Lettres est bloquée! – Die Besetzung des Uni-Campus in Nancy

Das aktuelle Semester verbringe ich an der Université de Lorraine in Nancy. Ein Erasmus-Semester ist ja an sich schon super interessant, aber ich habe den Eindruck, dass ich in ein ganz besonderes gestolpert bin. Seit 23. März ist mein Campus (Lettres et Sciences Humaines) nämlich im Protest gegen den Plan Étudiant, eine Universitätsreform, und auch irgendwie gegen die Regierung Macron im Allgemeinen besetzt. In mittlerweile fast zwei Wochen mit täglich abgesagten Kursen hatte ich also ziemlich viel Zeit übrig, die ich in einen Beitrag über die Proteste hier investiert habe. Er wird auch im Uniradio Campus Wien ausgestrahlt, aber weil ich so viel Arbeit hineingesteckt habe (und damit ich den Überblick behalte), veröffentliche ich ihn auch hier bei Lieblings-Plätzchen. Dass dieses Stück kein „Laberpodcast“ wurde, ist auch meinen beiden Sprecher_innen Kaja Müller-Haude (Deutsche Versionen der O-Töne) und Baptiste Thomas von Radio Campus Lorraine (Französische Texte) zu verdanken.

Pour mes ami-e-s français-e-s: Grâce au blocus à la Fac des Lettres je n’avais rien à faire, alors j’ai réalisé ce petit pièce d’audio pour le radio universitaire de Vienne. Desolée pour ce-tt-es entre vous qui ne comprennent pas l’allemand – mais vous pouvez au moins lire les passages francophones dans le transcript en bas. 

Gebäude J
Die Eingänge zum Gebäude J sind am 26.3. nur mehr symbolisch mit gestapelten Stühlen verstellt.
Schrift
Meine Instagram-Story vom 31.3. bestand aus Schrift auf Wänden: eine (imaginierte?) E-Mail eines Professors, Protestaufruf an Schüler_innen außerhalb des Campus, Prinzipien und Ziele.
Non au plan etudiant
Dieses Plakat hing schon bei meiner Ankunft in Nancy im Campusinnenhof, am 3.4. verziert es die Bibliotheksfassade.
Fac = Sad
Am 3.4. stehen immer noch Stühle vor den Eingängen, die Wände sind mittlerweile mit Gedanken und Gedichten bekritzelt.
Hippies Terroristes
Das Konzert der „Hippies Terroristes“, die selbst auf dem Campus studiert haben, war ziemlich lustig (3.4.).
Université Populaire
Besonders bei Einbruch der Dämmerung schön anzuschauen: die beleuchteten Saalbeschriftungen im Erdgeschoss (3.4.)
Université Populaire
Der neue Name der Uni ist klar: Université Populaire du Sapin (3.4.)

 

Zum Weiterlesen:

Transkript:

Les Hippies Terroristes singen: „C’est l’anarchie“
Sprecherin: „Seit dem 22. März ist am Campus Lettres et Sciences Humaines, also dem für Literatur- und Sozialwissenschaften in Nancy, nichts mehr wie vorher. In den frühen Morgenstunden blockierte eine Gruppe von studierenden Aktivistinnen und Aktivisten alle Zugänge zu den Gebäuden. Die Stühle, die nicht in hohen Türmen vor den Eingangstüren standen, waren im Innenhof aufgereiht. Dort nahmen später am Tag die Protestierenden als Trauergesellschaft zur Beerdigung der Universität platz.
Mit dieser Aktion unterstrichen die Studierenden einerseits ihre Ablehnung gegenüber einer geplanten Universitätsreform, genannt Plan étudiant. Andererseits solidarisierten sie sich mit den nationalen Bahnstreiks und Protesten gegen Maßnahmen der Regierung Macron am selben Tag. Boudou, Soziologie-Masterstudentin, war unter den ersten, die den Campus in Nancy besetzt haben.“
Boudou: [Je bloque également depuis le debut, je suis là, parce-que je suis contre le plan étudiant, mais pas que contre ce plan mais aussi contre toute la privatisation du service publique qui est en train d’être mise en place par Macron et avant lui tous les autres présidents qui se sont succedés.] Ich protestiere schon seit Anfang an gegen den Plan étudiant, aber nicht nur gegen diesen Plan, sondern auch gegen die Privatisierung des öffentlichen Diensts, die aktuell durch Macron und die Präsidenten vor ihm, vorangetrieben wird.“
Sprecherin: „Die Protestaktionen gegen den Plan étudiant hatten schon vor diesem einschneidenden Donnerstag Ende März begonnen. Den Aktivistinnen und Aktivisten in Nancy war es nur vor der vollständigen Blockierung des Campus nicht gelungen, Aufmerksamkeit auf ihren Kampf zu lenken. Schon seit meiner Ankunft in Nancy – wegen Prüfungen an der Uni Wien – zwei Wochen nach dem französischen Semesterstart, hingen Transparente im Innenhof, Tafeln in Hörsälen wurden mit Protestaufrufen bemalt und Flugblätter flatterten durch die Gänge. Die UNEF, Frankreichs größter Studierendenverband, mobilisierte unter anderem mit verschiedenen Memes im Stil von Don’t be like Bill.“

Sprecher: [Paul est étudiant en L3 Economie. Paul va à son TD de Methodes Économiques. Paul veut poser une question. Paul ne peut pas car le plan étudiant a supprimé les cours en TD. Ne fais pas comme Paul, mobilise-toi contre le plan étudiant!] „Paul ist Wirtschaftsstudent im dritten Jahr. Paul geht zu seinem Seminar für Wirtschaftsmethoden. Paul will eine Frage stellen. Paul kann nicht, weil es das Seminar wegen des Plan Étudiant nicht mehr gibt. Mach es nicht wie Paul. Mobilisiere dich gegen den Plan Étudiant!

 Sprecherin: „Auf nationaler Ebene hatte sich schon vergangenen Herbst Widerstand gegen den Plan étudiants gebildet. Das Bündnis „NONÀLaSélection“, auf Deutsch „Nein zur Auswahl“ ging im November mit einem Twitter- und Facebook-Account online.
Videoausschnitt „Non à la Sélection“ : „Bon, écoutez moi bande des petits cons, vous allez passer sous le choixpeau parcoursSup et il va vous attribuer une formation.“
Sprecherin: „Dieser Remix der Harry-Potter-Szene mit dem sprechenden Hut ist wohl der erfolgreichste Post der Initiative. Er hat mittlerweile knappe 700.000 Views und tausende Likes auf Facebook. Der sprechende Hut ist darin die Inkarnation des nationalen Portals „ParcourSup“, über das im kommenden Wintersemester sämtliche Universitätsbewerbungen abgewickelt werden. Hermine mit ihrem Mittelklasse-Hintergrund landet in der Pariser Literaturwissenschaftsfakultät, Draco mit seinem adeligen Namen und guten Beziehungen in einer renommierten Wirtschafts-Hochschule. Für Harry, ein Arbeiterkind mit mittelmäßigen Noten, hat der Selektions-Hut nur eine kurze Antwort übrig:“
Sprecherin: „Abgelehnt! Das Video spielt auf den wichtigsten Kritikpunkt an der Hochschulreform an: neue Zugangsbeschränkungen. Wer im kommenden Wintersemester ein Studium beginnen will, musste sich bis Ende März auf der frankreichweiten Plattform „ParcourSup“ registrieren und einen Lebenslauf hochladen. Notwendig ist außerdem die Einschätzung der persönlichen Kompetenzen der Maturantinnen und Maturanten und Nachweise zur Eignung für das entsprechende Studium. Das sind zum Beispiel gewählte Schwerpunktfächer, Noten oder ehrenamtliches Engagement. Auch neu an diesem Inkriptionsverfahren: die Lehrkräfte der Sekundarschule müssen die Selbsteinschätzung der Maturantinnen und Maturanten evaluieren und haben damit direkten Einfluss auf deren Universitätsbewerbung.
In „ParcourSup“ können die Studieninteressierten bis zu zehn verschiedene Bachelorprogramme auf ihre Wunschliste setzen. Die Universitäten prüfen bis zu den Sommermonaten, ob die Maturantinnen und Maturanten die Anforderungen des jeweiligen Studiengangs erfüllen. Spätestens im September erhält dann jede und jeder eine Antwort. Im besten Fall lautet die „Oui“, also ja. Allerdings kann man auch ein „Oui, si“, quasi eine Zusage unter Bedingungen oder im schlechtesten Fall ein simples „Non“ erhalten.
Auban, einer der Protestierenden an der Fac des Lettres in Nancy ist vehementer Gegner der neuen Zugangsbeschränkungen:“
Auban: [Pour moi l’université c’est un lieu de savoir, ouvert a tous, je trouve ca vraiement contre l’idée même de l’université de selecitonner les élèves à l’entrée. Et il y a d’autres méthodes à faire, il faudrait plus penser à augmenter le nombre des profs, si on va dans le sens que l’université marche plus, l’état actuel quoi, augmenter le nombre des profs et pas reduire la nombre des élèves. En fait c’est vraiment si simple que ca. Et c’est contre ca qu’on vien protester. C’est contre la seleciton vraiement à l’université!] „Für mich ist die Universität Ort des Wissens, offen für alle. Schüler im vorhinein auszuwählen spricht, finde ich, gegen die Idee der Universität selbst. Es gibt auch andere Methoden, man müsste mehr daran denken, die Zahl der Professoren zu erhöhen. Wenn die Universität nicht mehr funktioniert, so wie jetzt aktuell eigentlich, muss man die Zahl der Professoren erhöhen und nicht die Zahl der Studierenden reduzieren. Es ist wirklich so einfach. Und deshalb sind wir hier zum Protest, gegen die Selektion an der Universität.“
Sprecherin: „Nach dem ersten Besetzungs- und Streiktag hörten die Proteste in Nancy nicht auf. Denn mit einem sehr knappen Vorsprung von 2 Stimmen – es stand letztlich 69 zu 67 – stimmte die Generalversammlung der Protestierenden für eine Verlängerung der Besetzung. Bis auf Weiteres. Der Präsident der Université de Lorraine, Pierre Mutzenhardt, wandte sich daraufhin in einer E-Mail an alle Studierenden der Fac des Lettres et Sciences Humaines:“
Sprecher: [Je souhaite une reprise des cours le plus tôt possible. Je ne peux qu’appeler l’ensemble des étudiants à plus de sérénité dans les débats. Je souhaite que les près de 8000 étudiants du campus puissent retrouver rapidement des conditions d’étude et de vie universitaire normales.]
„Ich wünsche mir eine Wiederaufnahme der Kurse zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Ich kann die Gesamtheit der Studenten nur zu mehr Ausgeglichenheit in den Debatten aufrufen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die fast 8000 Studenten des Campus zügig normale Studienbeding ungen und ein normales Universitätsleben vorfinden könnten.“
Sprecherin: „Die Verantwortliche für den Campus, Christine Boceran, verschickte im Folgenden täglich aufs Neue E-Mails mit der Absage aller Kurse. In Absprache mit den Protestierenden gab sie schließlich den Termin für eine neue    Generalversammlung bekannt. Am 28. März, also fast eine Woche nach Beginn der Besetzung, sollte abgestimmt werden, ob die Blockade weitergeht.
L’Est Republicain, eine der wichtigsten Tageszeitungen der Region, titelte an diesem Mittwochmorgen mit einem ganzseitigen Bild der blockierten Uni „La fac de Lettres est bloquée“. France3 Grand Est, der öffentlich-rechtliche Fernsehsender für die Region, rückte mit einem Film-Team an.
Damit war die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die zweite Generalversammlung in Nancy sicher, ein Etappenerfolg für die Protestierenden. Wie die Abstimmung ausgehen würde, war an diesem Morgen aber noch schwierig abzusehen. Die vorherige Wahl über die Fortsetzung der Blockade war bekanntlich knapp gewesen. Die Gegnerinnen und Gegner der Besetzung kritisieren vor allem die Absage aller Kurse. Virginie, Masterstudentin der Psychologie ist gegen die Blockade:“
Virginie: [Je suis contre le blocus, après je suis pour le droit de que voila les étudiants puissent se manifester, et voila il n y a pas des soucis, mais par contre, je trouve que un blocus comme ca, c’est vraiment une attente à la liberté d’étudier et nous, fin je pense que je ne suis pas la seule, ca nous empeche de rencontrer nos directeurs de memoire pour avancer bah.]
„Ich bin gegen die Blockade, obwohl ich für das Recht zu protestieren bin. Das ist eigentlich kein Problem, aber eine Blockade wie diese ist wirklich ein Angriff auf die Freiheit zu studieren. Und wir, also ich glaube ich bin nicht die einzige, werden daran gehindert, die Betreuer unserer Masterarbeiten zu treffen.“
Sprecherin: „Boudou, die Besetzerin von Anfang an, kontert:“
Boudou: [Oui il y a beaucoup des gens qui m’ont dit ca, „c’est mon droit d’aller en cours“. Oui c’est vrai, en fait c’est mon droit aussi, mais c’est aussi le droit de 22000 lycéens qui l’annee prochaine auront pas accés à la fac, c’est aussi le droit des tous les autres lycéens qui n’auront pas accés à la fac après, en fait on se bat pas contre le droit d’aller en cours, on se bat contre l’idée qu’il y a certains personnes qui ont déjà ce privilège qui doivent le garder… Moi je sera pas entré à la fac si ce plan étudiant sera mis en place avant.]
„Ja, es gibt viele Leute die mir sagen „Es ist mein Recht, in die Kurse zu gehen“. Ja, das stimmt, tatsächlich ist es auch mein Recht, aber es ist auch das Recht der 22000 Maturantinnen und Maturanten, die im nächsten Jahr keinen Hochschulzugang haben werden. Es ist auch das Recht aller anderen Schülerinnen und Schüler, die später keinen Zugang zur Uni haben. Wir kämpfen nicht gegen das Recht, die Kurse zu besuchen, wir kämpfen gegen die Idee, dass nur die Personen, die dieses Privileg bereits haben, es behalten können. Ich wäre nicht an der Uni, wenn der Plan étudiant schon in Kraft getreten wäre.“
Sprecherin: „Die Universitätsreform hat alle Gesetzgebungsinstanzen bereits passiert, weshalb einige den Protest für unnötig halten. Diese Englisch-Studentin meint zum Beispiel:“
Englischstudentin: [Je suis pas pour le Plan étudiant mais je suis contre le blocus parce-que je trouve que c’est pas du tout productive, la facon dont ils le font ca remonte pas du tout aux oreilles du gouvernement, et du coup eh je trouve que ca sert a rien, ca change pas des choses.]
„Ich bin nicht für den Plan Etudiant, aber ich bin gegen die Blockade, weil ich sie für überhaupt nicht produktiv halte. Die Art und Weise des Protests gelangt überhaupt nicht an die Ohren der Regierung und deshalb finde ich, dass es nichts nutzt, es ändert einfach nichts.“
Sprecherin: „Die Kulturwissenschaftsstudentin Assia war wie Boudou unter den ersten Besetzerinnen und Besetzern der Uni. Sie bleibt in der Hinsicht optimistisch“
Assia: [La loi ne va pas être supprimé du jour au lendemain grâce a nous, mais au moins on fait entendre notres voix… Et peut-être ils vont changer quelques lignes dans la loi après nos actions, j’ai encore d’espoir!]
„Das Gesetz wird wegen uns nicht von heute auf morgen zurückgezogen werden. Aber wenigstens werden so unsere Stimmen gehört. Vielleicht werden einige Zeilen im neuen Gesetz nach unseren Aktionen geändert, ich habe noch Hoffnung.“
Sprecherin: „Während ich mich so umhörte, was die Studierenden vom Protest halten, strömten immer mehr Leute in den größten Hörsaal des Campus. Er ist für 500 Personen ausgelegt und bald saßen nicht nur auf den Stufen und auf der Bühne Studierende und Lehrende, bis zu den Ausgängen standen dicht gedrängt gut 900 Menschen.
Die Besetzerinnen und Besetzer eröffneten die Generalversammlung mit einem Fernsehbericht über die Uni-Blockade in Montpellier. Die Protestierenden an der dortigen Jus-Fakultät waren wenige Tage zuvor von maskierten Männern mit Baseballschlägern gewaltsam aus einem besetzten Hörsaal vertrieben worden. Die Organisatorinnen und Organisatoren der Generalversammlung in Nancy verurteilten die Gewalt und riefen zum Widerstand gegen rechte Bewegungen, vor allem die Identitären auf. Diese hatten mutmaßlich auf mehreren Demos gegen die Universitätsreform Protestierende angegriffen.
In der anschließenden Diskussion für und gegen die Blockade, für und gegen den Plan Étudiant, linke Syndikate gegen Macron-Unterstützer und so weiter, ging es teilweise hoch her. Vor allem als ein Vertreter der rechten Studentenverbindung UNI das Wort ergriff, gab es viele Buhrufe und es wurde um dessen Saalverweis gestritten.
Buhrufe
Sprecherin: „Insgesamt fand der mehr als dreistündige, basisdemokratische Austausch doch unter produktiven Bedingungen statt. Den Aktivistinnen und Aktivisten schien es tatsächlich zu gelingen, die Problematik der Universitätsreform zu vermitteln und die meisten der Anwesenden auf ihre Seite zu holen. Als das Ausmaß der landesweiten Proteste gegen die Universitätsreform thematisiert wurde, war der Wille zum Zusammenhalt im Widerstand stark spürbar.“
Aktivist bei der Generalversammlung: „Je rappelle que ce mouvement est un mouvement national. Ce n’est pas un mouvement nancéen entre des étudiants nancéens restant dans la Fac. Les facs bloquées les sont à Paris, à Nanterres, à Saint-Deniz, à Lyon, à Bordeaux, à Dijon, à Nantes, à Rennes, à Tour, à Lille, à Toulouse, à Poitiers, à Montpellier et à Grenoble. Ce mouvement n’est pas seulement un mouvement étudiant, il reunit beaucoup des métiers. Notamment les cheminots, les retraités, […] les organismes sociaux, les hôpitaux, la fonction publique, l’EDF, RTE, Enetis, la RATP, la chimie, la magistrature et les avocats, Air France et les salariés de Carrefour. Tous ces gens là se battent contre les reformes qui sont en train d’être mise en place par Macron“
Sprecherin: „Mehr als zehn Unis waren zum Zeitpunkt der Generalversammlung als Zeichen gegen den Plan Étudiant besetzt. Es sind tatsächlich bei weitem nicht nur die Studierenden, die gegen die Universitätsreform protestieren, auch einige Gewerkschaften haben sich solidarisiert.
In einem Aushang auf dem Campus erklärt beispielsweise das Collectif de personnels de l’université de Lorraine contre la sélection, also das Kollektiv des Universitätspersonals gegen die Auswahl, warum es die Universitätsreform ablehnt.“
Sprecher: [Il instaurera une sélection à l’entrée de l’université. Ce systeme va accentuer la mise en concurrence et les inégalités entre disciplines, entre établissements et entre territoires.]
„Der Plan ètudiant wird die Selektion beim Universitätszugang einführen. Dieses System wird die Konkurrenz und die Ungleichheiten zwischen Disziplinen, zwischen Einrichtungen und Regionen verstärken.“
Sprecherin: „Und weiter:“
Sprecher: [Franchement, qui d’entre nous veut faire ce sale boulot? Qui veut classer des centaines voire des milliers de dossiers?]
„Ernsthaft, wer von uns will diese dreckige Arbeit erledigen? Wer will hunderte, sogar tausende Bewerbungen einstufen?“
Sprecherin: „Dieser Soziologe der Fac de Lettres machte deutlich, das er auf der Seite der Campus-Besetzerinnen und Besetzer ist:“
Soziologe: [Moi personellement j’ai participé aux AGs du personnel, puisque il y a aussi des enseignants-chercheurs et de personnel administratif des ouvriers de service qui sont également oposées a cette reforme et qui, parlent avec leurs moyens et essaient aussi de mettre en echec cette proposition de loi qui va effectivement installer la selection à l’entrée de l’université.]
„Ich persönlich habe auch an den Generalversammlungen des Personals teilgenommen, denn es gibt genug Lehrende, Forschende und administratives Personal, die ebenfalls gegen diese Reform sind und mit ihren Mitteln gegen diesen Gesetzesvorschlag kämpfen, der faktisch Zugangsbeschränkungen an der Universität einführt.“
Sprecherin: „Weil der Hörsaal so hoffnungslos überfüllt war, musste die Abstimmung der Generalversammlung letztlich wo anders stattfinden. Um gegen die Fortsetzung der Blockade zu stimmen, musste man sich in einen Hörsaal auf der linken Seite Hauptgebäudes einfinden. Alle, die dafür waren, mussten in einen Hörsaal auf der rechten Seite, alle unentschiedenen blieben einfach draußen. Diese Studentin enthielt sich der Abstimmung und beschrieb ihr Erstaunen über den Wahlverlauf:“
Studentin: [J’étais persuadé que, vue la derniere AG qui était 200 personnes à peu prêt, et c’etait kifkif, j’étais persuadé que il aura une grande majorité contre la continuité, j’étais sûre que, les gens qui se sont deplaces, c’est pour reprendre les cours, mais en fait non, il y a encore un queue pour entrer la salle pour voter pour la coninuité.]
„Nach der letzten Generalversammlung mit nicht einmal 200 Personen, die Hälfte dafür, die Hälfte dagegen, war ich überzeugt, dass es heute eine große Mehrheit gegen die Fortsetzung gibt, dass die Leute für die Wiederaufnahme der Kurse hergekommen sind. Aber wies aussieht, nein, es gibt immer noch eine Schlange vor dem Hörsaal, in dem man für die Fortsetzung stimmt.“
Sprecherin: „Die Abstimmung der Generalversammlung fiel am Ende sehr klar aus: 607 Stimmen für die Weiterbesetzung des Campus, und nur 366 dagegen. Damit war klar, dass frühestens in der Woche nach Ostern wieder Kurse stattfinden würden. Das aber auch nur, wenn die nächste Generalversammlung sich mehrheitlich dafür ausspricht.
Die siegreichen Unterstützerinnen und Unterstüzter der Blockade sammelten sich nach der Abstimmung im Campusinnenhof, und brachen trotz leichten Regens zu einer spontanen Demo auf. Die Gegnerinnen und Gegner allerdings schimpften nicht schlecht auf die Weiterführung der Blockade: Giulia, Erasmusstudentin aus Italien meint dazu:“
Giulia: [J’aurais jamais imaginé que ca se pouvait passer, et on ne peut pas aller aux cours on peut rien faire, et je suis vraiment en colère, parce-que en fait, oui c’est bien quand on proteste, oui c’est bien, parce-que la réforme n’est pas juste pour les étudiants mais c’est un peu dégoutant, ca c’est un peu étrange et on peut rien faire en fait. Et c’est bizarre, parce-que les autres facultés de nancy ne font rien, c’est juste la Fac des Lettres. Et je ne comprends pas pourquoi]
„Ich hätte mir niemals gedacht, dass hier so etwas passieren könnte. Wir können nicht in unsere Kurse gehen und wir können nichts machen. Das regt mich wirklich auf. Es stimmt schon, es ist gut zu protestieren, denn die Reform ist nicht gerecht für die Studierenden. Aber es ist ziemlich fies, und auch seltsam, dass man nichts dagegen tun kann. Die anderen Fakultäten in Nancy machen nichts dergleichen, es ist nur die Fac de Lettres und ich verstehe nicht warum.“
Sprecherin: „Der Kommunikationswissenschafts-Student Florentin ist gegen den Plan étudiant, aber auch klar gegen die Besetzung:“
Florentin: [J’ai voté contre le blocus, parce-que je trouve que la cause pour qu’ils se battent elle est bien, il faut pas non plus que ca penalise tout les étudiants, je comprends parfaitement qu’il y a des gens qui ont voté pour, mais il faut comprendre aussi qu’il y a quelques qui sont contre, je ne regrette pas mon vote.]
„Ich habe gegen die Blockade gestimmt, ich finde zwar den Grund für ihren Kampf gut, aber es kann nicht sein, dass damit alle Studenten geschädigt werden. Ich verstehe natürlich, dass es Leute gibt, die dafür gestimmt haben, aber sie müssen verstehen, dass es auch Leute gibt, die dagegen sind. Ich bereue meine Wahl nicht.“
Sprecherin: „Die Université de Lorraine äußerte sich auf Twitter zum Abstimmungsergebnis:“
Sprecher liest Tweet : [L’Université de Lorraine a pris connaissance de la position de blocage adoptée par l’Assemblée Générale qui s’est tenue aujourd’hui sur le Campus Lettres et Sciences Humaines et déplore ses conséquences sur les missions de service public de l’établissement.]
„Die Université de Lorraine hat die Position der heutigen Generalversammlung auf dem Campus Lettres et Sciences Humaines zur weiteren Besetzung zur Kenntnis genommen und betrauert deren Konsequenzen für den öffentlichen Auftrag der Einrichtung.“
Sprecherin: „Diesen öffentlichen Bildungsauftrag versuchten derweil die Besetzerinnen und Besetzer auf ihre Art zu übernehmen. Sie organisieren Filmabende, gemeinsame Mahlzeiten und Workshops. Alle Interessierten waren z.B. eingeladen, gemeinsam den Gesetzestext des Plan Étudiant durchzuarbeiten, oder mit einem Linguistikprofessor über die Macht der Sprache zu diskutieren. Gelegentlich kamen Vertreterinnen und Vertreter nicht-studentischer Organisationen vorbei, um ihre Solidarität auszudrücken und im Campusinnenhof wurden spontane Konzerte angestimmt. Die Protestierenden riefen außerdem dazu auf, Arbeitsgruppen zu bilden. Statt auf die Absage der Kurse zu schimpfen, sollen die Studierenden sich doch gemeinsam außerhalb der klassischen Strukturen Wissen aneignen.
Nach gut eineinhalb Wochen Besetzung ist der Großteil des Campus vollgeklebt mit Transparenten, Plakaten und Stickern, die Eingangstüren sind weiterhin mit gestapelten Stühlen, Tischen und Mülltonnen blockiert. Die meisten der 8000 Studierenden scheinen sich in spontane Ferien verabschiedet zu haben. Abgesehen von ein paar fleißigen Studierenden in der Hauptbibliothek und dem harten Kern der Aktivistinnen und Aktivisten in ihrer Protestzentrale ist das Gelände meistens leer.
Es ist noch nicht abzusehen, wie es an der Fac de Lettres et Science Humaines von Nancy weitergehen wird. An anderen französischen Unis wird die Blockade seit mehreren Wochen aufrechterhalten. 2009 blieb das auch Audimax der Universität Wien im Rahmen von Unibrennt fast zwei Monate lang besetzt. Mein Erasmusaufenthalt geht noch bis Juni, genug Zeit, dass hier noch mehr Unerwartetes passiert.“

Les Hippies Terroristes singen: „Et nous redecouvrons avec d’hesitation, que la lutte c’est super classe…“

Sprecherin: „Dieser Beitrag wurde im April 2018 von Jana Wiese produziert. Außerdem gesprochen haben Kaja Müller-Haude und Baptiste Thomas. Die Musik im Hintergrund stammt von Les Hippies Terroristes, die ein Konzert auf dem besetzten Campus gespielt haben.“

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